Der austenitische Stahl 304L wird in der Wirtschaft vor allem in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt und zeichnet sich besonders durch seine Rost- und Säurebeständigkeit aus. Bei Wärmebehandlungen von austenitischen Stählen kann abnormales Kornwachstum auftreten und somit die mechanischen Eigenschaften der Stähle negativ beeinflussen. Während der Wärmebehandlung können sich Ausscheidungen teilweise auflösen und somit ein Kornwachstum bewirken. Eine kleinere Anfangskorngröße führt durch eine größere Triebkraft zu einem schnelleren Kornwachstum und es kann in weiterer Folge abnormales Kornwachstum auftreten. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Lokalisierung eines Prozessfensters bei dem abnormales Kornwachstum nicht auftritt. Um den Beginn und die Einflussfaktoren für abnormales Kornwachstum zu bestimmen, wurden zylindrische Proben eines austenitischen Stahls 304L (Böhler A607, Fe-18Cr-8Ni) geglüht. Die Glühungen wurden ein- und zweistufig bei 900, 1000, 1100 und 1200°C durchgeführt, mit Glühzeiten von 10 Minuten bis 40 Stunden. Die einstufigen Glühungen zeigten, dass bei 900°C die vorhandenen Ausscheidungen nicht gelöst werden konnten und somit das Kornwachstum auch über sehr lange Glühperioden kaum einen Anstieg zeigte. Bei Glühtemperaturen über 900°C konnten die vorhandenen Ausscheidungen gelöst werden und es kam zu einer Kornvergröberung. Mit steigender Temperatur kam es zu einem früheren Beginn des abnormalen Kornwachstums. Die zweistufigen Glühungen führten nach einer kurzen (10 bis 40 Minuten) Lösungsglühbehandlung bei 1200°C zu einer größeren Anfangskorngröße für die zweite Glühung. Bei 1200°C wurden sowohl die facettierten Korngrenzen als auch die Ausscheidungen ausgelöscht und dadurch sind Glühzeiten bis über 24 Stunden bei 1000°C möglich, ohne dass abnormales Kornwachstum auftritt. Das validierte zweidimensionale zelluläre Automaten Modell zeigt eine gute Übereinstimmung mit den experimentell gewonnenen Daten in Hinsicht auf die Kornwachstumskinetik unter Temperaturabhängigkeit und den Einfluss der Ausgangskorngröße. Die für die Auslieferung vorgeschriebene Lösungsglühbehandlung wurde mit Hilfe der experimentell ermittelten Daten forciert und das abnormale Kornwachstum unterdrückt.