Druckrohre aus Polyethylen (PE) werden seit mehr als 40 Jahren erfolgreich in der Gas- und Wasserversorgung eingesetzt. Die Abschätzung der erforderlichen Min-destbetriebszeit derartiger Rohre von derzeit 50 Jahren erfolgt dabei auf Basis von Zeitstandinnendruckversuchen und der Standard-Extrapolationsmethode nach EN ISO 9080. Der allgemein für die Lebensdauer anerkannte kritische Versagensmechanismus für PE Rohre ist durch langsames sprödes Risswachstum (slow crack growth, SCG) gekennzeichnet. Auf Basis der linear elastischen Bruchmechanik (LEBM) ist es möglich, die Kinetik quasi spröder Risse an Prüfkörpern zu bestimmen und auf reale Bauteile wie z. B. Rohre zu übertragen. Durch die Weiterentwicklung der Rohstoffe, insbesondere durch Variation der Molmassenverteilung und gezieltem Einbau von Kurzkettenverzweigungen, sind heute PE Rohrwerkstoffe mit einem deutlich erhöhtem Risswiderstand verfügbar. Durch die deutlich verbesserte Leistungsfähigkeit dieser Materialien eröffnet sich einerseits eine breite Diskussion über garantierte Betriebszeiten von 100 Jahren, andererseits stehen die üblichen Prüfmethoden vor neuen Herausforderungen, Versagensmechanismen in den modernen Materialien in beschleunigten Versuchen zu charakterisieren. Eine Möglichkeit, Prüfzeiten zu verringern, bieten zyklische Ermüdungsversuche. Weiteres Potential zur Beschleunigung liegt in der Prüfkörpergeometrie, wobei vor allem zylindrische gekerbte (cracked round bar, CRB) Prüfkörper eine deutliche Verkürzung der Versuchszeiten bewirken. Da eine direkte Messung der Risswachstumsgeschwindigkeit für diese Prüfkörper aufgrund deren Geometrie und des exzentrischen Risswachstums bisher nicht möglich war, stand die Entwicklung einer zuverlässigen Messung der Risskinetik in CRB Prüfkörpern bei zyklischern Ermüdungsversuchen im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Hierfür wurde mit Hilfe von drei gleichmäßig verteilten Extensometern und variierenden Kerbtie-fen die Rissöffnung gemessen und eine materialspezifische Nachgiebigkeitskurve erstellt. Mit Hilfe dieser Kalibrierkurve war es in weiterer Folge möglich, die Risskinetik im CRB Prüfkörper auf Basis eines einzigen Versuchs zu bestimmen. Weiteres Augenmerk wurde auf eine exakte Auswertung der Rissinitiierung gelegt, welche sich aus den drei Extensometersignalen bestimmen lässt. Die entwickelte Prüfmethode wurde an vier verschiedenen PE-Typen angewandt, wobei auch das Potenzial der Rissinitiierung für ein Materialranking evaluiert wurde.